Die Ameise und die Heuschrecke
Äsopische Fabeln
Auf einer Wiese, wo die Sonne warm schien und die Blumen in allen Farben leuchteten, da summte und brummte es den ganzen lieben langen Tag. Die Ameisen, kleine, fleißige Tierchen, waren schwer beschäftigt. Sie schleppten winzige Samenkörner und süße Beeren in ihr gemütliches Haus unter der Erde. "Puh, das ist schwer!", schnaufte eine kleine Ameise, aber sie machte tapfer weiter.
Nicht weit davon entfernt saß Gregor, der Grashüpfer, auf einem Grashalm. Gregor hatte eine kleine Geige und liebte es, darauf zu spielen und fröhliche Lieder zu singen. "Tra-la-la, der Sommer ist so wunderbar!", zirpte er und tanzte dazu. Arbeiten? Nein, das war nichts für Gregor.
Wenn Gregor die Ameisen sah, wie sie schwitzten und schleppten, lachte er manchmal. "Hallo, ihr fleißigen Ameisen!", rief er. "Warum arbeitet ihr denn so viel? Der Sommer ist doch zum Spielen und Singen da! Kommt, tanzt mit mir!"
Eine ältere, kluge Ameise hielt kurz an. "Wir sammeln Vorräte für den Winter, Gregor", erklärte sie. "Im Winter ist es kalt, und dann wächst draußen nichts mehr zu essen."
Gregor lachte nur. "Ach, der Winter ist noch so weit weg!", zirpte er und spielte unbekümmert weiter auf seiner Geige. "Ich genieße lieber die Sonne!"
So ging der Sommer vorbei. Die Blätter an den Bäumen wurden bunt und fielen herab. Es wurde kühler. Und dann, eines Morgens, war alles weiß. Der Winter war gekommen! Ein kalter Wind pfiff über die Wiese, und Schnee bedeckte alles.
Gregor, der Grashüpfer, saß zitternd unter einem welken Blatt. Ihm war schrecklich kalt, und sein Bauch knurrte laut. Er hatte nichts zu essen. Seine Geige war stumm, und an Singen war gar nicht zu denken. Wo sollte er jetzt nur Futter finden?
Da erinnerte er sich an die fleißigen Ameisen. Mit letzter Kraft schleppte er sich zu ihrem Hügel und klopfte an die kleine Tür.
Die kluge alte Ameise öffnete. "Gregor? Was machst du denn hier in dieser Kälte?", fragte sie.
"Oh, liebe Ameise", flüsterte Gregor mit schwacher Stimme, "ich habe so Hunger und mir ist so kalt. Habt ihr vielleicht ein kleines bisschen Essen für mich?"
Die Ameise sah Gregor ernst an. "Gregor", sagte sie, "erinnerst du dich an den Sommer? Während wir hart gearbeitet und Vorräte gesammelt haben, hast du gesungen und getanzt und uns manchmal sogar ein bisschen ausgelacht. Wir haben dir gesagt, dass der Winter kommt."
Gregor senkte traurig den Kopf. Er wusste, dass die Ameise Recht hatte.
"Nun", fuhr die Ameise fort, "wer im Sommer nur singt und tanzt und nicht an später denkt, der muss im Winter oft frieren und hungern."
Gregor war sehr traurig und verstand nun, dass es wichtig ist, für die Zukunft vorzusorgen und nicht nur an den Spaß zu denken. Er fror und hungerte, aber er hatte eine wichtige Lektion gelernt. Und vielleicht, ganz vielleicht, hat er im nächsten Sommer auch ein paar Körnchen gesammelt.
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