• Die drei Männlein im Walde

    Grimms Märchen
    In einem gemütlichen Häuschen am Rande eines großen Waldes lebte ein Mann mit seiner lieben Tochter. Nach einiger Zeit heiratete der Mann wieder, und seine neue Frau brachte auch eine Tochter mit in die Ehe. Doch ach, die Stiefmutter und ihre Tochter waren gar nicht nett zu dem Mädchen. Sie musste die ganze schwere Arbeit im Haus machen und bekam oft nur wenig zu essen.

    Eines eiskalten Wintertages, als draußen alles tief verschneit war, sagte die Stiefmutter: "Geh in den Wald und pflücke mir ein Körbchen voll Erdbeeren. Ich habe solchen Appetit darauf."
    Das Mädchen erschrak. "Aber Mutter," sagte es, "im Winter wachsen doch keine Erdbeeren!"
    "Widersprich mir nicht!", schrie die Stiefmutter. "Zieh dir dieses Papierkleid an und geh sofort, sonst gibt es nichts zu essen!"

    Traurig zog das Mädchen das dünne Papierkleid an, nahm ein kleines Stück hartes Brot mit und ging in den tiefen, verschneiten Wald. Es fror jämmerlich und weinte leise vor sich hin. Plötzlich sah es ein kleines Häuschen, aus dessen Schornstein Rauch aufstieg. Neugierig klopfte es an.

    Drei kleine Männlein öffneten die Tür. "Guten Tag", sagte das Mädchen höflich.
    "Guten Tag", antworteten die Männlein. "Was suchst du denn hier im tiefen Schnee?"
    Das Mädchen erzählte von den Erdbeeren und wie seine Stiefmutter es geschickt hatte.
    Die Männlein nickten. "Komm herein und wärme dich. Hast du vielleicht etwas zu essen für uns?"
    Das Mädchen zeigte sein hartes Stück Brot. "Mehr habe ich nicht, aber wir können es gerne teilen."
    Die Männlein freuten sich und aßen mit dem Mädchen. Dann gaben sie ihm einen kleinen Besen und sagten: "Geh hinter das Haus und kehre den Schnee weg."

    Das Mädchen tat, wie ihm geheißen, und siehe da! Unter dem Schnee kamen die schönsten, reifsten Erdbeeren zum Vorschein. Schnell pflückte es sein Körbchen voll.
    Bevor es ging, tuschelten die drei Männlein miteinander. Dann sagte das erste: "Weil du so gut und freundlich warst, sollst du jeden Tag schöner werden."
    Das zweite sagte: "Weil du dein Brot mit uns geteilt hast, sollen dir bei jedem Wort Goldstücke aus dem Mund fallen."
    Und das dritte sagte: "Weil du so bescheiden und fleißig bist, soll dich ein König heiraten."
    Das Mädchen bedankte sich von Herzen und eilte nach Hause.

    Als es der Stiefmutter die Erdbeeren brachte und bei jedem Wort Goldstücke aus seinem Mund fielen, wurde diese blass vor Neid. Sofort schickte sie ihre eigene Tochter, dick eingepackt in einen Pelzmantel und mit einem großen Stück Kuchen, in den Wald, um auch solche Geschenke zu bekommen.

    Die faule Tochter fand das Häuschen, stürmte hinein, ohne zu grüßen, und setzte sich an den warmen Ofen. Als die Männlein sie baten, den Schnee wegzukehren, sagte sie schnippisch: "Macht doch euren Dreck selber weg!" Ihren Kuchen aß sie alleine auf.
    Da tuschelten die Männlein wieder. Das erste sagte: "Weil du so unhöflich und faul bist, sollst du jeden Tag hässlicher werden."
    Das zweite sagte: "Weil du so geizig bist, sollen dir bei jedem Wort Kröten aus dem Mund springen."
    Und das dritte sagte: "Weil du so eingebildet bist, sollst du ein unglückliches Ende nehmen."
    Die Tochter kehrte ohne Erdbeeren und mit schlechter Laune heim. Und als sie den Mund aufmachte, um sich zu beschweren, hüpften ihr Kröten entgegen!

    Mit dem guten Mädchen aber ging alles so, wie die Männlein es gesagt hatten. Es wurde jeden Tag schöner, und wenn es sprach, fielen Goldstücke. Eines Tages kam ein junger König vorbei, sah das wunderschöne Mädchen, verliebte sich sofort in sie und heiratete sie.

    Nach einem Jahr bekam die junge Königin ein Kind. Die böse Stiefmutter und ihre Tochter hörten davon und kamen zu Besuch. In einem unbeobachteten Moment stießen sie die junge Königin aus dem Fenster in den Fluss, der unter dem Schloss vorbeifloss. Dann legten sie die hässliche Tochter ins Bett der Königin.
    Als der König kam, wunderte er sich, warum seine Frau so anders aussah und Kröten aus ihrem Mund sprangen, wenn sie sprach.

    In der Nacht aber kam eine weiße Ente in die Schlossküche geschwommen und fragte den Küchenjungen:
    "Was macht mein Kindelein?"
    Der Küchenjunge antwortete: "Es schläft in seinem Wiegelein."
    Die Ente fragte weiter: "Was macht mein Mannelein?"
    Der Küchenjunge sagte: "Er schläft auch schon fein."
    Dann fragte die Ente: "Was machen die drei Männlein im Wald?"
    Und sie schwamm davon.
    So ging es zwei Nächte. In der dritten Nacht erzählte der Küchenjunge alles dem König. Der König nahm sein Schwert und als die Ente wieder ihre Fragen stellte, schwang er das Schwert über ihren Kopf. Da verwandelte sich die Ente zurück in seine wunderschöne Königin.

    Sie erzählte ihm alles, was die böse Stiefmutter und die Stiefschwester getan hatten. Der König war so wütend, dass er die beiden aus dem Schloss werfen ließ. Niemand sah sie je wieder.
    Der König, die Königin und ihr kleines Kind aber lebten glücklich und zufrieden bis an ihr Lebensende. Und manchmal dachten sie an die drei kleinen Männlein im Wald.

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